„Der Spiegel“
Redaktion Ausland
Herr Dr. Olaf Ihlau
Brandstwiete 19
D – 20457 Hamburg Windhoek, 21 Juli 2004
Artikel "Kriegstrommeln in Südwest",
Spiegel Nr. 28 / 2004
Sehr geehrter Herr Dr. Ihlau,
wir freuen uns, dass Sie einen Journalisten nach Namibia gesandt haben, für eine
Recherche vor Ort. Für uns ist keineswegs selbstverständlich, dass ein Magazin
wie der Spiegel trotz angespannter Lage auf dem deutschen Anzeigenmarkt und
allgemeiner Stellenkürzungen in den Redaktionen keine Kosten scheut, um sich ein
eigenes Bild von Namibia und seinen Problemen zu verschaffen.
Andererseits sind wir sehr betroffen. Als langjährige Leser kennen und schätzen
wir den Spiegel. Einen Artikel wie "Kriegstrommeln in Südwest" von Thilo Thielke
hätten wir darin nicht erwartet.
Wir sind betroffen darüber, dass der Artikel einseitig ist, dass sich der
Spiegel zum Sprachrohr einer sehr kleinen Gruppe innerhalb der namibischen
Bevölkerung macht, und dass das gezeichnete Bild von den Menschen, der Regierung
und dem Land nicht der Realität entspricht. Vor allem aber sind wir betroffen,
weil in dem Artikel nicht einmal der Versuch unternommen wird, angeblich 'irrationale'
Handlungen einzelner Personen oder der Regierung zu verstehen. Sie scheinen sich
weder Ihrer Verantwortung als Informationsquelle bewusst zu sein, der mehr als 5
Mio. Leserinnen und Leser vertrauen, noch der Wirkung, die Ihre
Berichterstattung in Namibia entfaltet.
Lassen Sie uns das erläutern.
Einseitigkeit - Auf der Farm des deutschstämmigen Farmers Andreas Wiese führt
ein verendetes Gänseküken zum Konflikt mit den auf seiner Farm lebenden
Arbeitern. Der Disput eskaliert zum Gerichtsprozess. Herr Thielke verschweigt in
dem Artikel, dass Wiese die Arbeiter und ihre Familien vor das Farmtor setzt.
Und dass dem Fall ähnliche Abschiebungen auf anderen Farmen vorausgegangen sind.
Völlig unabhängig von Schuldfrage oder Gerichtsentscheiden muss man sich doch
darüber wundern, wie es zu solch einer Eskalation kommen kann und warum die
Menschen auf diese Weise miteinander umgehen. Das erzwingt doch geradezu, beide
Seiten zu Gehör zu bringen. Thielke jedoch schildert Verlauf und Motive
lediglich aus der Perspektive des Farmers. Die Gegenseite - Arbeiter und
Gewerkschaft - kommt nicht zu Wort.
Das gleiche gilt für die Darstellung der Bodenreform, die ausschließlich die
Argumente der Kritiker auflistet und die der Gegenseite völlig ausblendet.
Thielke verschweigt zudem, dass über die Notwendigkeit einer Umverteilung des
Bodens ein breiter gesellschaftlicher Konsens besteht. Die Bodenreform wird
nicht nur von Präsident Sam Nujoma und der regierenden Swapo (Wahlen 1999: 76
Prozent) gefordert, sondern auch von den meisten Oppositionsparteien, darunter
der Congress of Democrats (knapp 10 Prozent), der in dem Artikel nicht zu Wort
kommt, und die Democratic Turnhallen Alliance (9,5 Prozent), die im Artikel als
Kritiker angeführt wird.
Sprachrohr - Der Vorfall wird aus der Perspektive des Farmers geschildert, was
den Konjunktiv erfordern würde. Die Verwendung des Indikativs jedoch erhebt
dessen Sichtweise zum Faktum und verschmilzt dessen Stimme mit der Thielkes.
An anderer Stelle mutiert die Stimme Thielkes zu der einer kleinen Gruppe
deutschstämmiger Namibier: Das Wort "Südwest" nämlich, ohne distanzierende
Anführungszeichen in der Überschrift klingt kaum nach der Sprache eines
unabhängigen Journalisten. Die aus der deutschen Kolonialzeit stammende
Bezeichnung wird heute in Namibia vorzugsweise von Leuten benutzt, die sich in
jene Zeiten zurücksehnen.
Aus der Passage, in der Thielke den Obelisken der Gedenkstätte für die
Gefallenen des Befreiungskampfes zu einem "Gedenkphallus" des Präsidenten
mutieren lässt, riecht man förmlich den Bierdunst am Stammtisch eben dieser
Leute heraus. "'Nujomas letzte Erektion', spotten die Namibier", fügt Thielke
hinzu - mit der klaren Absicht, die Meinung einer Randgruppe zum
gesellschaftlichen Konsens zu erheben. Doch entgegen seiner Behauptung macht
diese Entgleisung keineswegs die rippenrempelnde Runde unter allen Namibiern.
Auch die meisten Deutschstämmigen würden sich peinlich berührt abwenden. Im
Gegensatz zu Journalist Thielke oder dem Spiegel, der dieser groben Zote einen
ganzen, sorgsam formulierten Absatz widmet. Und sich damit zur wohlwollenden
Plattform für Ansichten aus ultra-rechter Ecke des politischen Spektrums
erniedrigt.
Falsches Bild - Thielke suggeriert, die Landfrage diene als reine
Wahlkampfmunition ("in Namibia sind bald Wahlen, und seit Monaten verspricht die
Regierung deshalb ihrer Bevölkerung die Umverteilung des Bodens"). Er
verschweigt, dass die Bodenreform seit Jahren durchgeführt wird - auf der
Grundlage eines Gesetzes, das bereits 1995 in Kraft getreten ist.
Thielke suggeriert ferner, dass die Bodenreform in der "Aufteilung des
Agrarlands in kleine Schollen" bestehe, "die den Arbeitern zur Bewirtschaftung
überlassen werden sollen". Das stimmt natürlich nicht, wie man sofort feststellt,
wenn man sich mit diesem zentralen Aspekt der Bodenreform beschäftigt:
Berücksichtigt bei der Zuteilung des Landes werden ganz allgemein Antragsteller,
die die namibische Staatsbürgerschaft haben, bisher kein oder mangelhaftes Land
besitzen und historisch benachteiligt sind. In den wenigsten Fällen handelt es
sich dabei um Arbeiter, die auf der betreffenden Farm leben. Auf diesen
Missstand weist der im Artikel zitierte Experte Wolfgang Werner seit Jahren hin.
Fazit: Die Leidtragenden der Bodenreform sind eben nicht in erster Linie Farmer,
die immerhin eine marktgerechte Entschädigung erhalten (im Gegensatz zu Simbabwe
werden Land und errichtete Anlagen vergütet), sondern Arbeiter und deren
Familien, die in vielen Fällen auf der Farm geboren sind und die nicht nur ihre
Heimat, sondern auch ihr täglich Brot verlieren.
Thielke, der mit Aufbau und sprachlicher Gestaltung des Artikels unter Beweis
stellt, dass er sein journalistisches Handwerk meisterhaft beherrscht, wird im
Zuge seiner Recherche mit Sicherheit über diesen Aspekt gestolpert sein. Deshalb
gehen wir davon aus, dass er ihn wider besseres Wissen falsch darstellt. Zumal
er sich an anderer Stelle zum Teil widerspricht: "Wie in Simbabwe sollen auch in
Namibia verdiente Helden des Befreiungskampfes mit dem enteigneten Land belohnt
werden". Und auch dies entspricht nicht den Tatsachen. Veteranen selbst haben in
der Vergangenheit wiederholt nicht Land, sondern Jobs gefordert.
Warum die bewusste Falschinformation? Weil sonst sofort aufgefallen wäre, dass
das gewählte Beispiel des Farmers Wiese mit dem Konzept der Bodenreform
eigentlich gar nichts zu tun hat. Gerade das werfen Kritiker der Regierung ja zu
Recht vor: Nicht Kriterien für die Enteignung von Land für die Umverteilung,
sondern Arbeitsdispute seien der Grund für die jetzt angestrebten Enteignungen.
Doch den Fall Wiese braucht Thielke dringend, um den Leser schon gefühlsmäßig
gegen die Bodenreform einzunehmen. Genau mit diesem Kalkül sind Einstieg und
Ende des Artikels komponiert: Der erste Satz ("Der Landwirt Andreas Wiese hat
seine Heimat verloren") mit dem emotional aufgeladenen Wort 'Heimat'; der erste
Abschnitt mit der gefühlsmäßig ansprechenden Schilderung jenes Moments, in dem
Farmer Wiese den Enteignungsbrief erhielt; und die herzzerreißende Schlussszene,
in der Farmer Wiese "aus dem Fenster blickt" und sieht, wie "seine Angestellten
unten auf dem Farmland campieren. Sie warten, dass er endlich geht."
Das Leid des Farmers Wiese ist real und nachzuempfinden. Umso mehr ist es zu
verurteilen, dieses Leid in falsche Zusammenhänge zu rücken und für eigene
Zwecke zu missbrauchen.
Herr Thielke missbraucht das Beispiel des Farmers Wiese außerdem als
Anhaltspunkt, um eine Parallele zwischen Namibia und Simbabwe zu ziehen, wo 'weiße'
Farmen unter Duldung der Regierung von 'Schwarzen' besetzt und die Farmer
belagert, geschlagen oder gar ermordet wurden. Dabei ist Thielke vom Experten
Wolfgang Werner nach dessen Angaben während des Gespräches ausdrücklich darauf
hingewiesen worden, dass sich diese Parallele nicht ziehen lässt. Als Werner
Gründe anführen wollte, habe Thielke gleich abgewunken und kein weiteres
Interesse gezeigt. So wundert uns nicht, dass die Unterschiede zu Simbabwe im
Artikel unterschlagen werden: die gesetzliche Grundlage der Bodenreform, die
Durchführung nach rechtsstaatlichen Verfahren, das vorherrschende Prinzip
'willing seller, willing buyer', das sofortige Eingreifen der Behörden in Fällen
versuchter Farmbesetzungen.
Wir können daraus nur den Schluss ziehen, dass Herr Thielke mit vorgefasster
Meinung und dem festen Vorsatz nach Namibia gekommen ist, diese Meinung zu
bestätigen - koste es, was es wolle.
Kein Verständnis - Die Voreingenommenheit Herrn Thielkes setzt sich in der
Gestaltung des Artikels fort. Darin wird nicht erörtert, sondern festgestellt.
Damit man ihm in seinem Urteil folgt, greift er zu einem beliebten Kniff der
Rhetorik: Er macht den politischen Gegner lächerlich, erklärt ihn für
irrational. Lächerliche Menschen nimmt man nicht ernst, und mit den Zielen und
Argumenten von irrationalen Menschen muss man sich gar nicht erst
auseinandersetzen.
Thielke skizziert gekonnt mit groben Federstrichen ein schiefes Bild von
Präsident Nujoma. So erwähnt er, es gebe in Namibias Städten "jede Menge Straßen,
die nach Robert Mugabe, Fidel Castro und anderen Helden sozialistischer
Volkskriege benannt sind" und spricht kurz darauf vom "alte(n) Partisan Nujoma
mit seinem struppigen Revoluzzerbart". Damit rückt er Nujoma unterschwellig in
die Reihe enteignungswütiger Diktatoren, die im Gestern leben und am längst
gescheiterten Sozialismus festhalten. Es stimmt, dass Nujoma und die Swapo ihren
Verbündeten aus Zeiten des Befreiungskampfes die Treue halten und ihre
Dankbarkeit für gewährte Unterstützung auch in der (Um-)Benennung von
Straßennamen ausdrücken. Aber ist jemand von gestern, weil er seine alten
Freunde nicht wie eine heiße Kartoffel fallen lässt, nachdem sich das Blatt
gegen sie gewendet hat? Zudem ist Namibias Staats- und Regierungschef
demokratisch gewählt - mit einer Mehrheit (fast 77 Prozent), von der US-Präsidenten
nur träumen können. Die Regierungspartei Swapo hat sich mit der Unabhängigkeit
1990 klar zur freien Marktwirtschaft bekannt, der Schutz des Privateigentums ist
in der namibischen Verfassung verankert.
Mit Formulierungen wie "Schrulle des betagten Führers" im Artikel oder "Irrationales
Treiben" in der Bildunterschrift werden Nujoma Altersdemenz und Handlungen
unterstellt, die eher trieb- als vernunftgeleitet sind. Das Foto von Nujoma,
Händchen haltend mit Simbabwes Präsident Robert Mugabe, soll die Behauptung
Thielkes unterstreichen, Nujoma sehe in dem international quasi für verrückt
erklärten Mugabe sein Vorbild und eifere ihm nach. Nicht erwähnt wird, dass auch
andere afrikanische Staatschefs bis hin zum südafrikanischen Präsidenten Thabo
Mbeki nach Außen hin den Schulterschluss mit Mugabe pflegen, ohne dessen Politik
für das eigene Land zu übernehmen. Und sind all diese Afrikaner irrational? Oder
könnte ihre demonstrative Haltung rationales Resultat jahrhundertelanger
europäischer Bevormundung und Politik des Teilens und Herrschens sein?
Die Bodenreform stilisiert Thielke zu einem Symptom des von ihm diagnostizierten
Irrsinns. So stellt er seiner Darstellung dieses Themas das Fazit voran: "Einen
größeren Unsinn kann die Regierung kaum machen." Um zu verschleiern, dass es
sich um sein eigenes Urteil handelt, legt er diesen Satz dem Experten Wolfgang
Werner in den Mund - der ihn jedoch eigenem Bekunden nach nie geäußert hat. In
der Tat hat die Bodenreform Schwachstellen, die auch seit Jahren in Namibia
kontrovers diskutiert werden: schleppende Umsetzung aufgrund langwieriger
Verfahren, Verteilung an reiche und einflussreiche Namibier, Problem der
entlassenen Farmarbeiter, mangelnde Betreuung der Neufarmer. Alles Punkte, die
Thielke nicht aufführt.
Dem zentralen Vorwurf der Kritiker dagegen, die Armut lasse sich mit der
Umverteilung des Farmlandes einfach nicht bekämpfen, wird viel Platz eingeräumt.
Wirtschaftlich gesehen ist die Kritik nicht von der Hand zu weisen. Es fehlt
aber der Hinweis auf die legitimen emotionalen und politischen Beweggründe: 'schwarze'
Namibier wollen 120 Jahre nach der europäischen Inbesitznahme und 100 Jahre nach
der Enteignung ihrer Vorfahren (in der Hauptsache Herero und Nama) über das Land
wieder physisch verfügen. "Aber gerade davon (den Weißen das einst gestohlene
Land wieder abzunehmen), wollen die Herero wenig wissen", zitiert Thielke den
Oppositionspolitiker Rudolph Kamburona, einen Herero. Und unterschlägt, dass die
Ovaherero sehr wohl Ansprüche auf das Land ihrer Ahnen erheben. Deshalb ist es
ihnen ein Stachel im Fleisch, wenn Angehörige der Ovambo innerhalb ihres
ehemaligen Gebietes Farmland erhalten. Verständlich. Andererseits würde eine
gruppenspezifische Zuteilung einen gefährlichen Tribalismus fördern, den man im
Zuge des Nation Building ja gerade überwinden will. So kommen Herero und Nama
zwar nicht ausschließlich, aber auch in den Genuss der Landverteilung - in ihrer
Eigenschaft als namibische Staatsbürger.
Doch Thielke geht es ja nicht um sachliche Auseinandersetzung, sondern
rhetorische Demontage des politischen Gegners. Dabei schreckt er nicht einmal
davor zurück, sich rassistischen Gedankenguts zu bedienen. Die Vokabeln "Kriegstrommeln",
"Buschkrieger" und "Kriegspfad" beschwören klar erkennbar das klischeehafte Bild
vom trommelnden Wilden im Busch. Den absoluten Höhepunkt erreicht Thielke jedoch
mit seinem verbalen Tiefschlag: Die Umdeutung des Gedenk-Obelisken zur
präsidentiellen Erektion weckt bewusst das Vorurteil vom sexuell hochpotenten
Schwarzen, das aus dunkler Kolonialzeit stammt und noch immer in den
Hinterköpfen vieler Europäer und europäischstämmiger Namibier herumspukt.
Äußerungen von Präsident Nujoma haben immer wieder einmal für Kritik gesorgt.
Das jedoch ist kein Grund für eine totale Demontage. Die herabwürdigende und
rassistische Art Thielkes, mit dem politischen Gegner umzugehen, ist ein
Rückfall in die Zeit der Apartheid. Sie passt auch nicht in eine Demokratie.
Umso mehr sind wir betroffen, dass sie in einen Spiegel passt. "Nujoma flucht
auf 'rassistische Weiße'", stellt Thielke kopfschüttelnd fest. Dabei sind es
Menschen wie Thielke, die diese Reaktion hervorrufen. Namibia ist seit der
Unabhängigkeit im Jahre 1990 eine Demokratie. Wie in Deutschland nach dem
Zweiten Weltkrieg müssen sich jedoch viele Menschen erst an demokratische
Umgangsformen gewöhnen. Uns macht betroffen, in Herrn Thielke einen Beleg dafür
zu erhalten, dass dieser Prozess auch nach 60 Jahren noch nicht abgeschlossen
ist.
Verantwortung - Wir wollen Herrn Thielke in diesem Brief keineswegs demontieren
und damit in die Haltung verfallen, die wir an ihm (und einigen Gruppen in
Namibia) kritisieren. Wir verstehen seine Lage als Journalist: Das
Nachrichtengeschäft erzeugt angesichts überwiegend negativer Themen auf Dauer
einen schützenden Zynismus, die Konkurrenz der Themen um den stets knappen Platz
im Blatt verleitet zur Zuspitzung. Wir verstehen auch den Spiegel: Die
Konkurrenz der Medien zwingt zur drastischen und plastischen Aufmachung der
Berichte. Wir haben jedoch kein Verständnis dafür, dass eine Geschichte wider
besseren Wissens auf Krawall gebürstet wird - auf Kosten betroffener Menschen.
Schließlich gibt es eine journalistische Sorgfaltspflicht und eine Verantwortung
gegenüber mehr als 5 Mio. Leserinnen und Lesern in Deutschland, Österreich und
der Schweiz - die ja gerade bei Berichten aus dem Ausland meist nicht die
Möglichkeit haben, die Informationen und Urteile anhand eigener Erfahrungen zu
überprüfen und einzuordnen.
Wirkung in Namibia - Der Spiegel wird in Namibia von Regierung und Bürgern als
eine gewichtige Stimme aus Deutschland wahrgenommen. Der Artikel Thielkes ist
daher für die Menschen hier nicht einer unter vielen, sondern die Titelstory des
Spiegel im Jahre 2004. In kopierter Form macht er überall die Runde. Viele sind
vor den Kopf geschlagen, viele reagieren betroffen, einige jubeln.
Es gibt Menschen, die den Wandel in Namibia nicht wahrhaben wollen und so tun,
als finde er nicht statt. Und es gibt Menschen, die sich schwer tun, sich in den
gewandelten Verhältnissen zurechtzufinden. Beide Gruppen suchen Halt und
Orientierung in der Vergangenheit, was sich in Phrasen äußert wie 'damals war
alles besser, seit der Unabhängigkeit geht es steil bergab, wir haben keine
Zukunft in Namibia'. Thielke nimmt genau diese Haltung ein und bringt sie im
Schlusssatz auf den Punkt: "In Namibia gibt es keine Zukunft mehr." Damit
bestätigt er diese - im Gegensatz zu Nujoma - tatsächlich im Gestern lebenden
Menschen in einer Einstellung, die im heutigen Namibia in der Tat keine Zukunft
hat und auch nicht haben darf. Diese Rückendeckung wird umso stärker empfunden,
als der Spiegel zumindest vor der Unabhängigkeit eher dem politischen Gegner,
der Swapo, nahestand, den nicht stattfindenden Wandel kritisierte und die 'rechtsradikalen
Weißen' an den Pranger stellte.
Menschen darin zu bestärken, in eine Sackgasse zu laufen, ist in seiner
destruktiven Wirkung für die Gesellschaft begrenzt, weil es sich um eine kleine
Gruppe handelt. Doch gleichzeitig schlägt der Spiegel mit Thielkes Artikel all
jenen 'Weißen' vor den Kopf, die sehr wohl eine Zukunft in Namibia sehen, die
sich um eine Zusammenarbeit mit den 'Schwarzen' bemühen und die am Aufbau des
neuen Namibia konstruktiv mitwirken wollen. Nach jahrzehntelanger
Diskriminierung der Schwarzen (gerade auch auf Farmen) müssen erst behutsam
Brücken des Vertrauens errichtet werden. Und schließlich tritt der Spiegel
Präsident Nujoma sowie der Regierung und damit Dreiviertel der namibischen
Bevölkerung zwischen die Beine. Und liefert einen Beleg für das Vorurteil, das
in diesen Bevölkerungsgruppen gegenüber den 'Weißen' gehegt wird: Die Weißen
wüssten immer alles besser oder seien gar rassistisch. Damit torpediert er den
Auf- und Ausbau einer Zusammenarbeit auf gleichberechtigter Ebene zwischen
Deutschland und Namibia sowie zwischen 'weißen' und 'schwarzen' Namibiern.
Reaktion - Um dieser destruktiven Wirkung zu entgegnen, werden wir diesen Brief
in deutscher und englischer Sprache in den hiesigen Medien veröffentlichen.
Außerdem werden wir ihn an Medien und Geschäftsleute in Deutschland senden, die
mit Namibia zu tun haben, sowie an Websites mit Inhalten zu Namibia.
Außerdem hoffen wir darauf, dass Sie diesen Brief in Ihrer nächsten Ausgabe
veröffentlichen, um Ihren Leserinnen und Lesern die Möglichkeit zu geben, den
Artikel Herrn Thielkes besser einzuordnen.
Und schließlich möchten wir Sie bitten, erneut einen Journalisten nach Namibia
zu schicken, um den einseitigen Eindruck vom Land durch ein vielschichtigeres
Bild zu ersetzen. Im November wählen die Namibier innerhalb von zwei Wochen
einen neuen Präsidenten, ein neues Parlament und einen neuen Regionalrat. Wir
sind gerne bereit, Ihnen in bezug auf Kosten, Kontakte, Vorbereitung von
Terminen und Transport zu helfen.
Einen Fehler einzugestehen und zu korrigieren, erfordert Größe. Wenn Sie diese
Größe zeigen, werden Sie unser Vertrauen in die Berichterstattung des Spiegel
wieder herstellen.
Mit freundlichen Grüßen
Mannfred Goldbeck, Geschäftsführender Direktor von Nature Investments (Tourismusunternehmen
in Namibia)
Sven-Eric Kanzler, Bush Telegraph (Redaktionsbüro in Windhoek)
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